15. Raunheim nach dem 1. Weltkrieg

Zuvor wurde ja bereits ausgeführt, dass Raunheim von den Franzosen besetzt war und die Amtsgeschäfte des Bürgermeisters von Adam Michel für den erkrankten Heinrich Preß wahrgenommen wurden. In den besetzten Gebieten kommt es erst im Herbst 1919, nachdem der Höchstkommandierende der verbündeten Armeen zugestimmt hat, zu Kommunalwahlen. Die Wahl der Gemeinderäte erfolgt nun nicht mehr direkt nach der Persönlichkeitswahl, sondern nach Listen.

Die Gemeinderatswahlen fanden am 9.11.1919 statt. Gemäß der Main-Spitze vom 15.11.1919 erhielten:

Sozialdemokraten: 6 Sitze
Demokraten (DDP): 3 Sitze
Parteilose: 3 Sitze

Gewählt wurden nach einer Bestätigung durch das Kreisamt:

  1. Jakob Wohlfahrt, Dreher, SPD
  2. Georg Philipp Dörmer, Lehrer, Demokrat
  3. Ludwig II. Sezanne, Lagerhalter, SPD
  4. Philipp Jakob Renneisen II., Mauerer, SPD
  5. Franz Draisbach, Bürogehilfe
  6. Heinrich Tron II., Werkmeister, SPD
  7. Johannes Becker I., Schlosser
  8. Ludwig Schnell, Landwirt
  9. Wilhelm Schnell, Bürobeamter, SPD
  10. Konrad Schalle, Maurermeister, parteilos
  11. Jakob Renneisen I., Landwirt, parteilos
  12. Philipp Tron I., Dreher

Konrad Schalle wird sein Amt nicht annehmen. Denn einen Tag vor der Wahl finden wir im Groß-Gerauer Kreisblatt folgende Anzeige:

Abschrift der Anzeige

 

Bürgermeister und 1. Beigeordneter wurden weiterhin direkt gewählt; die Wahlen dafür fanden in zweiwöchigem Abstand statt.

 

Wahlaufruf für Adam Michel

 

Wahlaufruf für Wilhelm Schnell

 

Für die Wahl des Bürgermeisters am 23.11.1919 verzeichnet die Main-Spitze:

Abgegebene Stimmen: 962, davon

Beigeordneter Adam Michel: 619 Stimmen
Bürobeamter Heinrich Preß IV.: 211 Stimmen
Wilhelm Schnell (Schnelle Willi), SPD: 123 Stimmen

Adam Michel konnte überzeugend die Bürgermeisterwahl gewinnen. Die Wahl des 1. Beigeordneten war auf Sonntag, den 07.12.1919 festgesetzt, zu der Willi Schnell ebenfalls kandidierte und diesmal überzeugend siegte. Eupforisch berichetet am 10.12.1919 die Mainzer Volkszeitung:

„Raunheim, 10 Dezember. Einen durchschlagenden Erfolg erzielte die Arbeiterschaft bei der am Sonntag stattgefundenen Beigeordnetenwahl. Unser Kandidat, Genosse Wilh. Schnell, siegte mit einer Mehrheit von 149 Stimmen. Von 1147 Stimmberechtigten haben 858 abgestimmt. Genosse Schnell erhielt 487 und der parteilose Kandidat 338 Stimmen; ungültig und zersplittert waren 33. Zu diesem Resultat trug die am Samstag Abend stattgefundene öffentliche Wählerversammlung bei, in der Genosse Schneider aus Brezenheim sprach, der es in packender Weise verstand, über die Bedeutung der Beigeordnetenwahl zu sprechen. Trotz der gegnerischen Machenschaften und Verleumdungen durch Flugblätter usw. ist es uns gelungen, den Sieg davonzutragen: Auch die von der Firma „Hessenland“ geliehene Kutsche, die den ganzen Tag in Bewegung war, konnte an dem Resultat nichts ändern. Wir wollen es an dieser Stelle nicht versäumen, dem tüchtigen Kutscher für seine „irrigen“ Bemühungen zu danken. Mit Stolz kann die Arbeiterschaft auf diesen 7. Dezember zurückblicken. Der Eifer und die Begeisterung, die die Genossen betätigten, muss auch für die fernere Zeit anhalten. Ist dies der Fall, dann wird an der Geschlossenheit der Arbeiter die Wut der gegnerischen „Sippschaft“ abrallen.“

 

Damit war der Gemeinderat komplett. Sieben Sozialdemokraten standen sieben Parteilosen/Demokraten, rechnet man den Bürgermeister mit zu dieser Gruppe, gegenüber. Ab 1919 fanden wieder regelmäßig Hauptversammlungen statt, nur sind die Berichte recht spärlich. Wir konnten zum Teil nur indirekt auf Personen im Vorstand schließen. So scheint es, dass Jakob Renneisen den Parteivorsitz während oder zum Ende des 1. Weltkriegs inne hatte. Im folgte nach dem Krieg Heinrich Müller und die Kasse dürfte Johannes Roth geführt haben. Am 12. Februar 1921 findet wieder eine Hauptversammlung statt. Heinrich Müller gibt aus familiären Gründen den 1. Vorsitz auf. Wiedergewählt wird Jakob Renneisen, der schonmal 1. Vorsitzender war. Zur Erweiterung der Pressekommission wurde Franz Alexander Lieb gewählt. Sonst bliebt der Vorstand unverändert. Allgemein bleibt noch zu vermerken, dass sich der Mitgliederstand um drei männliche und 15 weibliche Mitglieder erhöhte. Auf der Versammlung am 9. Juli 1921 wird der Parteivorstand noch ein mal erweitert. Willi Schnell übernimmt das Amt eines 2. Schriftführers.

Wir müssen für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg und die Inflationszeit von wirtschaftlich äußerst schlechten Bedingungen, hoher Arbeitslosigkeit, Hunger und großer Wohnraumnot ausgehen. So werden bspw. 1921 30 jugendliche Arbeitslose für Arbeiten an Wald- und Feldwegen und die Instandhaltung von Entwässerungsgräben eingesetzt. Die Gemeinde baut in der Waldstraße die Häuser Nr. 3 – 9, einmal, um Arbeit zu schaffen, aber auch, um für den so dringend benötigten Wohnraum zu sorgen. Bei der Suche nach Wohnraum ging man sogar so weit, darüber öffentlich nachzudenken, ob nicht im Pfarrhaus und der Oberförsterei Wohnraum geschaffen werden kann.

Mitte März 1921 bringt die SPD-Fraktion den Entwurf zur Erhebung einer Wohnungsluxussteuer ein, die einstimmig vom Gemeinderat genehmigt wird. Ob sie auch höheren Ortes gebilligt wurde? Im Rathaus wurde ein Mieteinigungsamt eingerichtet. Dafür war der SPD-Gemeinderat Ludwig Maurer II. Beisitzer. Über Wohnungs- oder Mietfragen kam es wohl zwischen der Partei und Ludwig Maurer II. zum Streit, der zum Ausschluss aus der Partei führte. Für die Reichstagswahl 1920 hatten wir in Raunheim ein besonders hohes Ergebnis für die USPD zu verzeichnen. Es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Vorstandsmitglieder oder Gemeinderäte zur USPD gewechselt wären. Es muss eine Gruppe bestanden haben, denn in einer Gemeinderatssitzung Anfang Juni 1920 wird beschlossen, eine „Kommission mit der Erhebung der diesjährigen Ernteanbauflächen“ zu beauftragen. Schon vor dem 1. Weltkrieg wurden sachkundige Bürger in „Commissionen“ berufen. Das Gemeinderatsprotokoll vom 1. Februar 1911 verzeichnet dafür:

  1. Commission für die Einführung von elektrischem Strom und Licht
  2. Armen-Commission
  3. Friedhofs-Commission
  4. Bau-Commission
  5. An- und Verkaufs-Commission für Gemeinde-Wiesen
  6. An- und Verkaufs-Commission von Gelände

Diese Tradition wurde nach dem 1. Weltkrieg fortgesetzt. Leider fehlt für den Zeitraum von 1917 bis 1921, die Zeit des Umbruchs, das Protokollbuch für die Gemeinderatssitzungen. In dem oben genannten Gemeinderatsbeschluss wird aber der USPD zugesichert, sie entsprechend des Reichstagswahlergebnisses in den Kommissionen zu beteiligen.

Am 24. September 1922 schließen sich die SPD und USPD in Nürnberg wieder zusammen und nennen sich jetzt auch Vereinigte Sozialdemokratische Partei. Die Gemeinderatswahlen am 19.11.1922 fanden nach der Vereinigung statt, sodass in Raunheim nur zwei Parteien antraten, und zwar die SPD und die Bürgerpartei, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen. Erste Spannungen zeigten sich. Im Groß-Gerauer Kreisblatt prangten unübersehbar folgende Seitenüberschriften:

„Sozialisten und Kommunisten sind gefährlich Feinde des schwerbedrohten Handwerkerstandes und aller kleinen Geschäftsleute“

oder

„Raunheimer, es geht zum Endkampf, helft der Bürgerpartei“

 

Die Mainzer Volkszeitung vom 25.11.1922 beschreibt das Wahlergebnis kurz und bündig:

„Bei der stattgefundenen Wahl wurden von 1262 Wahlberechtigten 998 Stimmen abgegeben. Davon erhielten: Die Vereinigte Sozialdemokratische Partei 465, die Bürgerpartei 477, ungültig waren 56 Stimmen. Der größte Verlust hiervon fiel auf das Konto der Sozialdemokraten. Gewählt sind von uns: Ph. Jakob Renneisen, Jakob Schäfer, Lud. Sezanne, Peter Müller, Jakob Wohlfahrt, Heinr. Tron, sowie 6 Bürgerliche. Trotz aller möglichen Wahlmanöver der Bürgerlichen und Herbeischaffung der Wähler durch ein Auto (von der Firma Opel) konnten wir nach wie vor unsere 6 Sitze behaupten. Die Arbeiterschaft hat hierdurch wieder bewiesen, dass sie sich durch einzelne Streber nicht irre machen lässt. Auf zur neuen Arbeit.“

 

Für die Bürgerlichen kamen in den Gemeinderat: Philipp Heinrich Ackermann, Peter Falk, Heinrich Heldmann, Georg Reviol, Heinrich Jakob Schnell III. und Geord Kolb II..

 

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Text frei nach Werner Milschewsky und Günther Diehl