
In einem Artikel der Mainzer Volkszeitung vom 19. September 1899 über Wahlveranstaltungen zur Landtagswahl erfahren wir ganz am Schluss und fast nebenher die Gründung des Ortsvereins Raunheim durch den Landtagskandidaten Heinrich Berthold am Sonntag, den 17. September 1899.
„Darmstadt, 18. September – Der gestrige Sonntag war für die Landtags-Agitation außerordentlich ergiebig. Nicht nur wurde in verschiedenen Wahlbezirken das vom Landeskomitee herausgegebene Flugblatt prompt verbreitet, es fanden auch an verschiedenen Orten Wählerversammlungen statt, die alle vom besten Geist beseelt waren und der Hoffnung Raum geben, daß für unsere Sache allerorts die Bewegung sehr gut steht und unser Sieg als gesichert erscheinen kann. Der Kandidat für den 14. Bezirk , Genosse Heinrich Berthold, sprach gestern in einer Versammlung in Raunheim und gelang es ihm, einen Wahlverein zu gründen, dem 37 Mitglieder beitraten. So geht Agitation und Organisation Hand in Hand, wobei die Siegeszuversicht noch wesentlich erhöht wird.“

Unser Gründungsvater Heinrich Berthold konnte den Wahlkreis erobern, wenn auch ohne die Wahlmännerstimmen aus Raunheim. Die Kassierer der Partei berichteten früher in der Mainzer Volkszeitung über eingegangene Mitgliedsbeiträge und so erfahren wir, dass im 4. Quartal des Jahres 1900 unter „außerordentliche Beiträge“ 1,75 Mark aus Raunheim eingegangen sind. Wir müssen davon ausgehen, dass zunächst nur für kurze Zeit ein Ortsverein in Raunheim bestanden hat.
Ebenfalls nach einer Mitteilung der Mainzer Volkszeitung vom 5. Dezember 1905 gründete sich der Ortsverein erneut.
„Raunheim, 3. Dezember – Heute wurde hier nach einem Referat des Genossen Schneider-Offenbach eine Mitgliedschaft des sozialdemokratischen Vereins für den Wahlkreis Groß-Gerau gegründet. Es meldeten sich sofort 28 Personen zur Aufnahme.“
Nun setzten auch regelmäßige Zahlungen an die Parteikasse ein. Der Kassierer meldet nämlich am 4. Mai 1906 die Zahlung von 16,70 Mark und am 3. November 1906 die von 21,40 Mark aus Raunheim. Weitere Zahlungen folgten laufend.

In seinem Festvortrag 1964 nennt uns Ludwig Wagner als Gründungsmitglieder 1905:
Ludwig Sezanne, Karl Korkammer, Wilhelm Neuhäuser, Georg Seidel, August Meister, Johannes Hübner, Karl Adolay, Jakob Krummeck, Jakob Wohlfahrt und Nikolaus Tielen
Zu nennen sind auch: Fritz Helfrich, Johann Mergel, Ludwig Nusch, Karl Stelzer, Karl Schneider, Jakob Schweinhardt


Nicht alle müssen Gründungsmitglieder gewesen sein, jedoch sind sie alle Mitglieder, die in der Partei frühzeitig Verantwortung getragen haben. Das Amt des 1. Vorsitzenden übernimmt Ludwig Sezanne und die Kasse wird von Johannes Hübner geführt.
Der junge Ortsverein wurde sofort aktiv. Schon eine Woche später ist Johannes Hübner auf einer Kreiskonferenz in Büttelborn und nimmt auch zu organisatorischen bzw. agitatorischen Fragen Stellung. Ebenso ein Jahr später auf der Kreiskonferenz in Bischofsheim, als es um die erste Wahl eines Parteisekretärs und um die Erhöhung des Monatsbeitrags auf 26 Pfennig ging, steht Hübner auf der Rednerliste. Durch den Rücktritt von Balthasar Cramer mussten im Frühjahr 1906 Neuwahlen stattfinden. Die erste Wahlversammlung fand im Löwen statt, auf der der Redakteur der Mainzer Volkszeitung ein Referat hielt. Schon der Versammlungsort im Löwen, mit dem größten Saal in Raunheim, weist darauf hin, dass mit einer großen Besucherzahl gerechnet wurde.
Die Bürgerlichen Parteien waren Wahlbündnisse eingegangen, sodass lediglich drei Parteien zur Wahl standen. Auch wurde der nach der Wahlniederlage der bürgerlichen Kandidaten im Jahre 1903 gegründete Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie aktiv. Zwei Tage später findet ebenfalls im Löwen eine Wahlveranstaltung der Nationalliberalen statt, die offenbar „umfunktioniert“ wird. Die Mainzer Volkszeitung vom 29.03.1906 meldet nämlich dazu:
„Nach der am Sonntag abgehaltenen sozialdemokratischen fand am Dienstag Abend im gleichen Lokal eine solche der Nationalliberalen statt. Beigeordneter Preß führte den Vorsitz und auf Verlangen des Genossen Sezanne wurde freie Diskussion zugesichert. Herr Osann (Darmstadt) gab zunächst der Erwartung Ausdruck, dass die Versammlung einen ruhigen Verlauf nehme. Hierauf entwickelte der Kandidat Dr. Stein sein bekanntes Programm. In der Diskussin wandten sich die Genossen Oberscheiner (Frankfurt) und Jung (Rüsselsheim) scharf gegen den Referenten. Während einer Erwiderung Osanns entstand aber eine so starke Unruhe, dass die Nationalliberalen nebst wenigen Anhängern den Saal verließen. Sofort eröffnete Jung eine zweite Versammlung bei ca. 80 Anwesenden. Diese Versammlung nahm eine Resolution an, welche sich mit den Ausführungen der nationalliberalen Redner nicht einverstanden erklärten und sich verpflichteten, voll und ganz für die Wahl Bertholds einzutreten.“
Schon am 19. Juli 1906 tritt Ludwig Sezanne krankheitshalber von seinem Amt zurück. Ob dies nur gesundheitliche oder aber andere Gründe hatte? Einige Jahre später jedenfalls erleben wir Ludwig Sezanne wieder als äußerst aktiven Partei- und Kommunalpolitiker. Sein Nachfolger wird Johannes Hübner und die Kasse übernimmt Karl Stelzer.
Genau ein Jahr nach der gründung, am 02.12.1906, hält der Ortsverein seine erste Generalversammlung ab. Hier wird auch der erste komplette Vorstand gewählt und es wurden Probleme aus der Gemeinde ausführlichn erörtert. Die Mainzer Volkszeitung vom 04.12.1906 widmet der Generalversammlung einen ausführlichen Artikel:
„In der am Sonntag stattgefundenen Generalversammlung des Arbeiter-Wahlvereins wurde die Jahresabrechnung für richtig befunden. In den Vorstand wurden gewählt J. Hübner erster, Jakob Wohlfahrt zweiter Vorsitzender, Karl Stelzer Kassierer, Karl Schneider Schriftführer, Philipp Zorn und Josef Appel Revisoren. Kritik wurde geübt an dem Verhalten der beiden Gemeinderäte, die dem Wahlverein angehören, weil sie so selten die Versammlungen besuchen, auch zeigen sie sonst wenig Interesse an der Sache. Für patriotische Feste sind sie immer zu haben!!! Es währe doch besser, wenn die Herren kein Interesse an der Sache haben, oder aus sonstigen Verhältnissen nicht dienen können, uns dies mitzuteilen.“
Text frei nach Werner Milschewsky und Günther Diehl