Um die Jahrundertwende setzte sich der Gemeinrat aus dem Bürgermeister, dem 1. Beigeordneten und neun Gemeinderäten zusammen. Die Wahlzeit betrug neun Jahre, wobei von den Gemeinderäten alle drei Jahre ein Drittel neu zu wählen war. Bürgermeister und Beigeordneter wurden direkt, in getrennten Wahlgängen, ermittelt. Es waren reine Persönlichkeitswahlen; die Stimmenmehrheit entschied. Wahlberechtigt waren alle Ortsbürger und Reichsangehörige über 25 Jahre, die Grund-, Gewerbe- oder Einkommensteuer zahlten. Fünf der neun Gemeinderäte mussten aus dem Dritteil der Höchstbesteuerten kommen. Für Raunheim war das kein Problem. Von den neun Gemeinderäten des Jahres 1901 kamen acht aus dem höchstbesteuerten Dritteil. Nur einer kam unter dem für diese Wahl geltenden Steuergrenzbetrag von 73 Mark; er lag bei 70 Mark. Arbeiter und Handwerker hatten meist einen Steuersatz von 35 Mark.
Im Jahr 1905 saßen im Gemeinderat:
Heinrich Preß, Landwirt, Bürgermeister
Adam II. Preß, Landwirt, Beigeordneter
Ludwig II. Hummel, Gastwirt, Gemeinderat
Philipp J. Schneider, Landwirt, Gemeinderat
Heinrich Schnell, Landwirt, Gemeinderat
Philipp Heldmann, Gastwirt, Gemeinderat
Ph. II. Draisbach, Weißbindermeister, Gemeinderat
Karl Heinrich Schäfer, Landwirt, Gemeinderat
Moses Kiritz, Gastwirt, Gemeinderat
Konrad Schalle, Maurermeister, Gemeinderat
Ludwig II. Ackermann, Bäckermeister, Gemeinderat
Zwei der neun Gemeinderäte müssen 1905 oder 1906 der Partei beigetreten sein. Wer diese waren, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Die Gemeinderatswahl am 9. August 1907 verlief nicht nach Wunsch. Gewählt wurden:
Philipp J. Schneider, Landwirt, Bürgerliche Parteien, 98 Stimmen, Wiederwahl
Jakob Renneisen, Landwirt, Bürgerliche Parteien, 77 Stimmen
Ludwig II. Hummel, Gastwirt, Bürgerliche Parteien, 66 Stimmen, Wiederwahl
Nicht genügend Stimmen erhielten die SPD-Kandidaten:
Adam I. Schweinhardt, Landwirt, 64 Stimmen
Ludwig Maurer, Maurer, 54 Stimmen
J. II. Schneider, Schmied, 49 Stimmen
Bei der innerparteilichen Diskussion über das Wahlergebnis wurden verschiedene Gründe genannt, z.B. zu spät einsetzender Wahlkampf und zu unerfahrenene Kandidaten. Bei den Ergebnissen der Bürgermeister-, Beigeordneten und Gemeinderatswahlen lässt sich sehr deutlich der Einfluss der alteingesessenen Familien erkennen, speziell bei den Bürgermeisterwahlen, wie wir noch sehen werden. Im Jahre 1909 lief die Amtszeit von Bürgermeister Preß ab. Als Gegenkandidat trat der damals noch junge Adam V. Michel an. Die SPD verzichtete darauf, einen eigenen Kandidaten aufzustellen und unterstütze offenbar die Wahl Michels. Die Wahl gewann Heinrich Preß mit 137 Stimmen, Adam Michel erhielt 89 Stimmen und der noch mit kandidierende Kaufmann Heß erhielt 34 Stimmen.
Einen großartigen Wahlsieg konnte die Partei bei der Gemeinderatswahl 1910 erringen. Die SPD-Kandidaten nahmen drei zur Wiederwahl anstehenden Gemeinderäten das Mandat ab. Von 310 Wahlberechtigen stimmten 265 ab. Es wwurden gewählt:
Ludwig Sezanne, 165 Stimmen
Jakob Wohlfahrt, 159 Stimmen
Karl Adolay, 121 Stimmen
Ph. Heldmann, 81 Stimmen
Adam I. Schweinhardt, 67 Stimmen
Moses Kiritz, 66 Stimmen
Gustav Gürtel, 52 Stimmen
Hch. Karl Schäfer, 52 Stimmen
Versch. Kandidaten, 17 Stimmen
Aus dem Protokollbuch für die Gemeinderatssitzung am 3. August 1908:


Vielleicht war es wieder einmal ein kritischer Bericht über eine Gemeinderatssitzung oder auch die Forderung der SPD, die Sitzungstermine am Rathaus auszuhängen oder mit der Ortsschelle bekannt zu machen, am 3. August 1908 jedenfalls fasste der Gemeinderat den Beschluss, wieder nichtöffentlich zu tagen. In diesem Sitzungsprotokoll des Gemeinderats wird übrigens erstmals die SPD erwähnt.
Im Frühjahr und nach den Gemeinderatswahlen im Herbst 1910 wurde der Antrag auf öffentliche Sitzungen wiederholt und jeweils wieder abgelehnt. Kurz nach der Gemeinderatswahl bildete sich in Raunheim ein liberaler Wahlverein, der ebenfalls den Antrag stellte. Diesmal, einige Tage nach der letzten Ablehnung des SPD-Antrags, beschließt der Gemeinderat, öffentlich zu tagen.
Im Jahre 1911 standen die Wahlen für den 1. Beigeordneten an, die dann am 11. November stattfanden. Bei den Liberalen muss es wohl zu Auseinandersetzungen über die Kandidatur gekommen sein, denn zeitweise wurde über zwei Kandidaten berichtet. Gründe, warum der seitherige Beigeordnete Adam II. Preß nicht mehr kandidierte, sind nicht nachzuvollziehen. Die SPD wollte zunächst einen Kandidaten aufstellen, hat dann aber letzlich darauf verzichtet und die Abstimmung freigegeben. Ob der Entschluss mit der kurzfristig angesagten Kandidatur von Adam V. Michel zusammenhing, kann ebenfalls nicht mehr nachvollzogen werden. Jedenfalls erhielt Michel ein vorzügliches Ergebnis, vermutlich mit Unterstützung der SPD.
Stimmverteilung:
Adam V. Michel, Landwirt: 182 Stimmen
J. Schneider, Zimmermann, Liberale Partei: 103 Stimmen
Die Arbeitervertreter beanstandeten zwischen 1911 und 1914 immer wieder die schlechte Erledigung von Verwaltungsangelegenheiten; Gesuchte wurden nicht oder nur schleppend bearbeitet, Akten und Baupläne verschwanden. Vor diesem Hintergrund ist die 1913 beschlossene Aufstockung des „Alten Rathauses“ zu sehen. Denn bis zur Fertigstellung hielten die Bürgermeister die Bürostunden in ihrem Haus ab.
Bis zum Jahre 1938 waren die Bürgermeister in Raunheim ehrenamtlich tätig. Auch gab es vor dem 1. Weltkrieg keine Tarife für die Gemeindebediensteten. Die Erhöhung der Bezüge fand unter sehr subjektiv geprägten Beschlüssen des Gemeinderats statt. War man unsicher, wurde beim Kreisamt nachgefragt, welche Erhöhung angebracht sei. Im Jahre 1913 steht auch die Erhöhung der Bezüge des Bürgermeisters zur Diskussion. Die Arbeitervertreter wollen keine Anhebung bewilligen, um so beim Kreisamt auf die unzulängliche Verwaltung aufmerksam zu machen. Das Kreisamt muss wohl auch angerufen worden sein, denn der Gemeinderat beschließt am 22. April 1913 unter Punkt 1:
„Die Vergütung des Bürgermeisters, welce das Großherzogliche Kreisamt auf 1900 Mark (pro Jahr) festgelegt hat, wird heute vom Gemeinderat, mit Ausnahme Sezanne, Wohlfahrt und Adolay bewilligt, mit Wirkung vom 1. April 1913 an. Für Büro, Heizung und Licht werden 180 Mark bewilligt, der Bürgermeister für die Wahrnehmung des Standesamt 150 Mark erhält, so glaubt der Gemeindearat, dass sich der Bürgermeister hiermit zufrieden gibt.“
In den Gemeinderatsprotokollen wurden, soweit sie noch vorliegen, nie die Namen der Abstimmenden protokolliert. Haben in diesem Fall die SPD-Vertreter darauf bestanden?
Bei den Gemeinderatswahlen im Juli 1913 kehrten sich die Verhältnisse wieder um. Alle drei zur Wiederwahl anstehenden bürgerlichen Gemeinderäte konnten ihr Mandat mit hervorragenden Ergebnissen sichern. Es erhielten: Konrad Schalle, Maurermeister, 219 Stimmen; Heinrich I. Schnell, Landwirt, 216 Stimmen und Ludwig II. Ackermann, Bäckermeister, 212 Stimmen. Wahlberechtigt waren 354 und abgestimmt haben 206 Bürger. Die SPD-Kandidaten wurden weit abgeschlagen. Zur Wahl standen Ludwig IV. Maurer, Maurer; Johannes Becker, Dreher; und Heinrich Gerlach, Schlosser. Sie erhielten zwischen 81 und 83 Stimmen. In einem in großer Bitternis gehaltenen Brief lesen wir unter anderem in der Mainzer Volkszeitung:
„Reine Zettel (hier fand eine Blockwahl zwischen den Bürgerlichen und der SPD statt) erhielten unsere Gegner 200, wir 71. Unsere Gegner, die den Sieg nur der Arbeiterschaft zu verdanken haben, benutzten besonders die „Jugendlichkeit“ unserer Kandidaten, um gegen Sie loszugehen.“
Text frei nach Werner Milschewsky und Günther Diehl