Zum Angriff russischer Truppen auf die Ukraine – Ein Aufruf aus kommunaler Perspektive

In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar ist das geschehen, was man nach den bitteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in Europa zurecht als überwunden hatte ansehen dürfen:

Ein Staat greift unter eindeutiger Missachtung des Völkerrechts einen anderen militärisch an und bringt damit wieder in bislang noch nicht abschätzbarem Maße Leid und Elend auf den europäischen Kontinent.

Dieser Schritt ist durch nichts zu rechtfertigen, auch nicht durch die Tatsache, dass der Westen russische Sicherheitsinteressen seit dem Ende der Sowjetunion systematisch ignoriert und missachtet hat.

Die grotesk anmutenden Legitimationsversuche („Hilferufe“ von Separatisten aus Luhansk und Donbass sowie Meldungen über vermeintliche Übergriffe ukrainischer Truppen in diesen Gebieten) entsprechen dem archaischen Rüstzeug von Autokraten und Diktatoren, die damit in der neueren Geschichte stets in unfassbarem Maße Tod und Leid auslösten.

Nun geht ein Schockgefühl durch die Welt und dieses ist mehr als begründet. Ein zentrales Fundament des angenommenen Fortschritts der Völkergemeinschaft erodiert vor aller Augen.

Dass es nach Ende des sogenannten Kalten Krieges, der immerhin ein kalter blieb, einmal zu einer Situation kommen würde, die eine so weitreichende Gefährdung des Friedens zwischen hochgerüsteten Großmächten auslösen kann, blieb trotz aller Warnsignale der letzten Wochen eigentlich undenkbar.

Die eingetretene Situation darf aber jetzt nicht zu einer Schockstarre führen. Nie wieder darf es vorkommen, dass sich Staaten, internationale Organisationen aber auch die Bevölkerung der Länder unserer Welt
in einer solchen Lage als unbeteiligt ansehen.

Die Gefahren, die aktuell drohen, sind so weitreichend, dass an allen Stellen dieser Welt eindeutige Reaktionen zu erfolgen haben. Dabei sollten alle darauf schauen, welche Mittel ihnen zur Verfügung stehen.

Den Vertretern von Kommunen in den Teilen der Welt, die den eingeleiteten Krieg gegen die Ukraine verurteilen, steht es nachvollziehbar nicht zu, eigenständig Außenpolitik zu betreiben.

Es gibt aber kommunale Handlungsfelder, die jetzt zu nutzen sind. Als Bürgermeister der Stadt Raunheim werde ich mich an die Stadtregierung unserer russischen Partnerstadt Osjorsk im Kaliningrader Gebiet wenden. Dabei wird unmissverständlich aufgezeigt, dass alle Bemühungen auf Städtepartnerschaftsebene, Prinzipien des Friedens und der internationalen Kooperation zu fördern, durch den Angriff auf die Ukraine
konterkariert werden.

Das, was unsere Städte vor allem verband, nämlich der innigliche Wunsch, in Europa nie wieder Krieg erleben zu müssen,
wird gerade mit Füßen getreten.

Zugleich wird sich die Stadt Raunheim dafür interessieren, in wie weit Unternehmen in unserer Stadt, die mit Russland Wirtschaftsbeziehungen unterhalten, dabei unterstützt werden können, diese auf Eis zu legen.

Und nicht zuletzt werden wir in dieser schwierigen Zeit besonders engen Kontakt zu unserer ukrainischen Partnerstadt Lubny halten, um an deren Problemen durch den Angriffskrieg Russlands unmittelbar teilhaben zu können und mögliche Unterstützung humanitärer Art zu leisten.

Ausdrücklich fordern wir dazu auf, dass sich alle Kommunen in Deutschland im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten
jetzt aktiv zeigen.

Still verharren ist in dieser Situation keine verantwortbare Option!

Thomas Jühe
Bürgermeister der Stadt Raunheim