14. 1919: Jahr des Neubeginns – Jahr der Wahlen

Nach Übernahme der Regierungsverantwortung im Reich durch die SPD war es Ziel, schnellstmöglich zu geordneten Verhältnissen zurückzukehren. Die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung wurden für den 19.1.1919 ausgeschrieben und das Wahlrecht in drei wichtigen Punkten wie Herabsetzung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre, Frauenwahlrecht und Verhältniswahlrecht, dass kleineren Parteien zugute kommt, geändert. Die Kriegsereignisse haben nicht nur die Monarchie hinweggefegt, auch die Parteienlandschaft hat sich verändert.

Wahlplakat von 1919: Die SPD tritt für das Frauenwahlrecht ein.

Hier einige Anmerkungen über die Parteien, soweit sie in Raunheim eine Rolle gespielt haben: Unverzüglich nach der Genehmigung der Kriegskredite am 4. August 1914 im Reichstag mit Zustimmung der SPD spaltete sich eine Gruppe um Karl Liebknecht ab und gründete am 1. Januar 1916 den Spartakusbund und Ende Dezember 1918 die KPD. Nach Verschärfung der Kriegssituation und Bewilligung der zwischenzeitlich fünften Kriegskreditvorlage im Dezember 1915, spaltete sich eine weitere Gruppe von 20 Reichstagsmitgliedern um den Abgeordneten Haase ab und bildete zunächst die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft (SAG) als selbstständige Fraktion (30.3.1916) und Anfang April 1917 dann die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD). Die Nationalliberalen die im Reichstagswahlkreis immer eine bedeutende Rolle spielten, gingen in die rechtsstehende Deutsche Volkspartei (DVP) über. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) sammelte die Linksliberalen aus der Fortschrittlichen Volkspartei, deren wurzeln die Freisinnige Vereinigung, Freisinnige Volkspartei und die Nationalsozialisten waren.

Die Linksliberalen konnten in Raunheim bei Reichstagswahlen im Gegensatz zu den Nationalliberalen oft respektabel Stimmergebnisse vorweisen. Das Zentrum, wenn überhaupt Kandidaten aufgestellt wurden, spielte weder im Reichstagswahlkreis noch in Raunheim eine Rolle. Am 19.1.1919 fanden die Wahlen zur verfassungsgebende Nationalversammlung statt. Folgende Stimmen wurden abgegeben:

Reich:

SPD: 37,9 %
USPD: 7,6 %
Zentrum: 19,7 %
DDP: 18,6 %
DVP: 4,4

Raunheim:

SPD: 75,3 %
USPD: 0,4 %
Zentrum: 3,4 %
DDP: 19,3 %
DVP: 1,6 %

 

Die SPD oder die Mehrheitsozialisten, wie sie sich jetzt nennen, erhalten in Raunheim doppelt so viele Stimmen wie im Reich, während die liberale DDP etwas über dem Ergebnis im Reich liegt. Weit abgeschlagen dagegen sind das Zentrum und die USPD. Die KPD hat für die Wahlen noch keine Kandidaten aufgestellt. Anfang Februar einigen sich die SPD, DDP und das Zentrum über eine Koalition. So wurde dann am 11.2.1919 Friedrich Ebert mit fast drei Viertel aller Stimmen durch die Nationalversammlung zum Reichspräsidenten gewählt und durch ihn am 13.2.2019 die erste Reichsregierung der Weimarer Republik mit Philipp Scheidemann (SPD) als Reichsministerpräsident berufen. Zu den wichtigsten Aufgaben der Nationalversammlung gehörte zunächst, die provisorische Staatsordnung zu sichern, eine Verfassung auszuarbeiten und zu beschließen sowie über den Versailler Vertrag abzustimmen. Im Amt des Reichsministerpräsidenten folgten Gustav Bauer (SPD) – Philipp Scheidemann wollte den Versailler Vertrag nicht mittragen und war am 19.6.1919 zurückgetreten – und Hermann Müller (SPD) ab 26.3.1920.

 

Am 6.6.1920 fanden die Wahlen zum ersten Reichstag statt:

Reich:

SPD: 21,3 %
USPD: 18,2 %
Zentrum: 18,1 %
DDP: 8,3 %
DVP: 13,9 %
Hess. VP (DNVP): 15,1 %

Raunheim:

SPD: 46,6 %
USPD: 25,3 %
Zentrum: 3,5 %
DDP: 12,6 %
DVP: 5,0 %
Hess. VP (DNVP): 7,0 %

 

Während die USPD zu den Wahlen zur Nationalversammlung in Raunheim keine Rolle spielt, erhält sie nun weit mehr als im Reichsdurchschnitt, nämlich 25,3 %, ausschließlich zu Lasten der SPD. Die SPD konnte mit dem Wahlergebnis keine Koalition mehr bilden und ging in die Opposition. DieHessische Volkskammer wurde zum ersten Mal direkt am 19.1.1919 gewählt und Carl Ulrich, altgedienter Sozialdemokrat, Landtagsabgeordneter und mehrfach Mitglied des Reichstages, als Staatspräsident berufen. Carl Ulrich reagiert in Koalition bis zu seinem Rücktritt 1928.

 

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Text frei nach Werner Milschewsky und Günther Diehl