18. Die Auseinandersetzung mit der KPD

Schon bei den Reichstagswahlergebnissen für Mai 1928 wurde auf die sich abzeichnende Radikalisierung für Mai 1928 hingewiesen. Das sozialdemokratisch geführte Kabinett von Hermann Müller, eine Regierung der demokratischen Mitte auf parlamentarischer Grundlage, stürzt am 27. März 1930. Am 30. März 1930 ernannte Reichspräsident von Hindenburg den Führer der Zentrumsfraktion Heinrich Brüning zum Reichskanzler und beauftragte ihn mit der Bildung eines koalitionsunabhängigen Kabintetts, einem Präsidialkabinett. Nach einer Reihe von Notverordnungen kam es dann doch am 14. September 1930 zu Neuwahlen, bei denen die SPD Stimmenverluste hinnehmen musste, aber auch die bürgerlichen Parteien der Mitte.

Reich:

SPD: 24,5 %
KPD: 13,1 %
DDP: 3,5 %
Zentrum: 14,8 %
DNVP: 7,0 %
NSDAP: 14,0 %

Raunheim:

SPD: 38,8 %
KPD: 30,9 %
DDP: 6,0 %
Zentrum: 6,8 %
DNVP: 0,9 %
NSDAP: 0,8 %

Der Zerfall und die Radikalisierung schritten weiter voran. Auch die SPD hatte ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht. Reichskanzler Brüning wurde im Mai 1932 entlassen. Ihm folgten Franz von Papen vom 2. Juni bis 3. Dezember 1932 und Kurt von Schleicher, der am 30. Januar 1933 als Kanzler gestürzt wurde. Der Weg für Adolf Hitler war frei. Aber ehe es soweit war noch die Wahlergebnisse der beiden Reichstagswahlen 1932:

Reich, 31. Juli 1932:

SPD: 21,6 %
KPD: 14,3 %
DDP: 1,0 %
Zentrum: 15,5 %
DNVP: 5,9 %
NSDAP: 37,3 %

Raunheim, 31. Juli 1932:

SPD: 34,6 %
KPD: 30,2 %
DDP: 0,6 %
Zentrum: 7,0 %
DNVP: 0,5 %
NSDAP: 25,0 %

Reich, 6. November 1932:

SPD: 20,2 %
KPD: 16,9 %
DDP: 1,0 %
Zentrum: 15,0 %
DNVP: 8,5 %
NSDAP: 33,1 %

Raunheim, 6. November 1932:

SPD: 29,5 %
KPD: 28,8 %
DDP: 1,0 %
Zentrum: 7,1 %
DNVP: 1,2 %
NSDAP: 30,3 %

Die Linksradikalisierung setzte bereits 1927/28 ein und hatte wohl Ende 1932 schon den Höhepunkt überschritten. Für die NSDAP dagegen werden in Raunheim erst ab 1930 Stimmen gezählt. In unserem Raum gewinnen die Kommunisten erhablich an Stimmen und erreichen im November 1932 fast das Ergebnis der SPD. Die NSDAP dagegen kann erst ab 1932 kräftigte Stimmgewinne auch sich vereinigen. Die Kommunalwahlen 1929 fielen für die SPD äußerst schlecht aus. Anhaltende Not und Arbeitslosigkeit, wiederkehrende Kurzarbeit in Raunheim und bei Opel, ohne Aussicht auf Besserung, sind sicher als Hauptursachen für die Radikalisierung anzusehen. Erstmals stellte die KPD zur Kommunalwahl eine Liste auf. Listenführer ist der spätere Landtagsabgeordnete Wilhelm Maurer.

Es gab darüber hinaus noch die Listen Handel und Gewerbe und Bürgervereinigung.

Die Wahl brachte folgendes Ergebnis:

Sozialdemokraten: 405 Stimmen, 4 Gemeinderaten
Kommunisten: 239 Stimmen, 2 Gemeinderäte
Handel und Gewerbe: 133 Stimmen, 1 Gemeinderat
Bürgervereinigung: 466 Stimmen, 5 Gemeinderäte

Gewählt wurden:

Philipp Jakob Renneisen, Maurer, SPD
Peter Müller, Weichenwärter, SPD
Ernst Schweinhardt, Schlosser, SPD
Jakob Schneider, Schlosser, SPD
Wilhelm Maurer, Dreher, KPD
Wilhelm Simon, Dreher, KPD
Heinrich Adam Müller, Fabrikant, Handel und Gewerbe
Heinrich Heldmann, Förster, Bürgervereinigung
Jakob Reviol, Schlosser, Bürgervereinigung
Heinrich Kern, Landwirt, Bürgervereinigung
Johann VI. Schneider, Bürgervereinigung
Herr Roßkothen, Bürgervereinigung

Luise Maurer nannte in einem Gespräch einige Monate vor ihrem Tod für die Gründung der KPD in Raunheim die Jahre 1922 oder 1923, wobei Wilhelm Maurer Gründungsmitglied gewesen sein soll. Albert Lehmann, der uns später noch beschäftigen wird, soll 1924 beigetreten sein. Die Partei hatte ca. 50 Mitglieder und war sehr aktiv. Als Aktivisten nennt Luise Maurer: Wilhelm Schalle, Adam Reichert, Herrn und Frau Schwarz, die auch bei den Naturfreunden sehr aktiv waren, sowie Georg Baum, Ludwig Daum und Heinrich Breivogel. Die Angaben im KPD-Karteibuch von Wilhelm Maurer stehen dazu in einigen Punkten im Widerspruch:

Mitglied der KPD seit: 1.4.1927
Politisch organisiert seit: 1926
In welcher Partei zuletzt: KPO
Gewerkschaft: Metall A V (Deutscher Metallarbeiterverband) seit 1925
Das Buch wurde ausgestellt: 6.1.1929

Im Bericht über meine Erlebnisse im Konzentrationslager Auschwitz schreibt Luise Maurer über ihren Mann Wilhelm Maurer:

„17 Jahre alt (ca. 1923), lernte ich meinen späteren Mann kennen. Wegen diesem sogenannten Verhältnis hatte ich zu Hause die Hölle, denn mein späterer Mann stand schon damals im Geruch, das Schlimmste zu sein, das einem Bürger zustoßen konnte: Ein Kommunist.“

Mitte 1925 setzte sich bei der KPD die Bolschewisierung durch, d.h. man wurde moskauhörig. Die SPD wurde zur dritten Partei der Bourgeoisie (nebst Faschismus und den bürgerlichen Gruppen) erklärt. Moskau forderte den gemeinsamen Kampf mit der Arbeiterschaft gegen die sozialdemokratische und freigewerkschaftliche Führung und den Eintritt der Mitglieder der kommunistischen Parteien in die Gewerkschaften, um durch Gewerkschaftsarbeit zur Revolutionierung der Massen von der Basis her beizutragen.

Die SPD sollte von links und rechts zerdrückt werden, und es klingt unter diesen Parteitagsbeschlüssen wie Hohn, wenn Kommunisten immer wieder gebetsmühlenartig wiederholten: Die Machtergreifung Hitlers war nur möglich, weil die Arbeiterklasse sich nicht einig war. Diesen Standpunkt veertrat Adam Reichert noch 1985 anlässlich einer VHS-Veranstaltung, aber auch Luise Maurer in ihren Erinnerungen. Wilhelm Maurer wird ein Abbild dieser Maxime, wie wir noch sehen werden, beginnend mit dem Gewerkschaftseintritt 1925. Erkennbar werden die Auseinandersetzungen in Raunheim erstmals auf einer Delegiertenversammlung der Gewerkschaften, die am 21.4.1928 tagte und die Feiern für den 1. Mai vorbereiten sollte. Es muss eine kängere Diskussion gegeben haben. Die Beschlüsse waren zwar einstimmig, aber die kommunistischen Vertreter der Metallarbeiter und Lederarbeiter verließen während der Abstimmung den Raum. Im Juli 1929, Wilhelm Maurer war bei Opel beschäftigt, ging es dann schon härter zur Sache. Bei einer Belegschaft von ca. 8.000 Mitarbeitern ließen ca. 300 Kommunisten eine Betriebsversammlung platzen.

Einige Monate später, nämlich im Februar 1930, kommt es bei Opel zu einem wilden Streik, an dem sich nach Angaben der Mainzer Volkszeitung ca. 300 und in der Spitze bis zu 600 Arbeiter beteiligt haben sollen. Die Main-Spitze sieht den Streik wesentlich gelassener und pricht von nur ca. 200 Streikenden. Nachdem wohl auch Maschinen zerstört worden sein wollen, wird nach einigen Stunden die Polizei eingeschaltet und die Rädelsführer, unter denen sich auch das Betriebsratsmitglied Maurer befindet, wegen Landfriedensbruch verhaftet und einige Monate später verurteilt. Die Arbeit im Gemeinderat stagnierte, sieht man einmal von dem „Verwirrspiel“ der Jahre 1930 bis 1932 um Bier-, Bürger- und Sondersteuern ab. Die Steuerdiskussion wurde zunächst von der KPD vorgetragen, aber später auch von Bürgermeister Michel geführt. Einzelheiten über die jeweilige Höhe der von den Parteien geforderten Steuern ließen sich nicht ermitteln.

Nach vorbereiteten Gesprächen im September 1930 hat sich am 8. Oktober 1930 eine Gruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) gegründet. Es ist zu vermuten, dass die treibende Kraft dazu Albert Lehmann war, denn in der ersten Versammlung am 14. Oktober wurde er zum 1. Vorsitzenden gewählt. Weitere Ämter übernahmen: Jakob Schweinhardt, Kassierer; Elfriede Müller, Schriftführerin und Käthe Becker sowie Walter Draisbach, beide Beisitzer. Es versammelten sich 17 Mitglieder. Es wurde mit markigen Parolen der damaligen Zeit geworben. So entnehmen wir einem Artikel der Mainzer Volkszeitung:

„Raunheim. Arbeitereltern! Es dürfte euch bekannt sein, dass in unserem Orte eine Sozialistische Arbeiterjugend besteht. An euch liegt es, diese junge Bewegung, die gewillt ist und den heißen Drang hat, das Wissen von unserem Ziel, den Glauben an den Sieg des Proletariats, das Brudergefühl der Gemeinschaft, gesteigerte Lebensfreude kennen zu lernen, voll und ganz zu unterstützen. Es muss euch Freude bereiten und mit Stolz erfüllen, eine Jugend in unserem Orte vorzufinden, die gewillt ist, dem Sozialismus zu dienen und das von euch begonnene Werk, die Befreiung der arbeitenden Klasse, zu vollenden. Liebe Eltern, schickt eure Töchter und Söhne zur Sozialistischen Arbeiterjugend. Die reichen Leute können ihre Kinder auf Gymnasien und auf die Universitäten schicken, weil sie das Geld dazu haben. Unser Gymnasium und unsere Hochschule ist die Sozialistische Arbeiterjugend, die das hohe Ziel hat, brauchbare Menschen zu formen, die ehrlich für den Sozialismus wirken.“

 

Wer Albert Lehmann kannte, wird zustimmen, dass er diesen Artikel verfasst hat. Es wird in der nächsten Zeit aktiv gearbeitet. Die Partei unterstützt die junge Gruppe und sogar der Gemeinderat stimmte einstimmig der Nutzung deines Schulsaals für Bildungsveranstaltungen zu. Man hatte allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der Schulvorstand legte Widerspruch ein und die Angelegenheit wurde zur Schlichtung dem Kreisschulamt übergeben. Wie wir vorstehend schon gesehen haben, war Albert Lehmann zunächst Mitglied der KPD. Er muss sich bis Mitte 1930 der SPD angeschlossen und eine Gruppe der SAJ gegründet haben. Über die Aktivitäten war man offenbar in KPD-Kreisen, wie aus einem Schlagabtausch, der über das KPD-Organ „Sprachrohr“ und der Mainzer Volkszeitung geführt wurde, überaus gekränkt:

„Kommunisten kämpfen gegen die Sozialistische Arbeiterjugend
Uns wird geschrieben:
In dem letzten Sprachrohr, dass die Kommunisten der Arbeierschaft von Raunheim verabreicht haben, ist die neu gegründete SAJ in Raunheim nicht vergessen. Der Artikel lautet:

Und die Raunheimer SAJ
Die sozialdemokratische Mutter hat ein Kind geboren. Aber wie durch die jahrelange Inzucht nicht anders zu erwarten, hat das Kind, die SAJ, alle Fehler eines alten Droschkengauls aufzuweisen. Das hervorstechende Merkmal ist die völlige Unkenntnis der Arbeiterschaft. Der Führer dieses Kindes ist das „Sozialistenembrio“ Lehmann. Dieser Lehmann, der an den Kursen der KPD zu seiner weitern Ausbildung teilgenommen hat, macht jetzt in Volkstänzen und Wald- und Wiesenliedern „Arbeiterpolitik“. Die Arbeiterschaft muss erkennen, dass man auf diese Weise nicht zum Sozialismus kommen kann.“

Es ist anzunehmen, dass Albert Lehmann noch vor 1933 oder nach dem Krieg wieder zur KPD ging oder mit ihr sympathisierte. Nach eigenen Angaben fiel er 1932 bei der SPD in Ungnade für die Aussage: „Die Zersplitterung der Linken bringt Adolf Hitler an die Macht.“ Der Name Lehmann wird jedenfalls wieder zusammen mit Wilhelm Maurer im „Rotes Sprachrohr“ genannt. Für seine Überzeugung, verbunden mit seiner Untergrundarbeit ab 1933, war Albert Lehmann im KZ Osthofen und im Gefängnis. Vielleicht nach dem Verbot der KPD in Westdeutschland 1956 stellte er mehrfach den Antrag zur Aufnahme in die SPD, dem aber erst 1967 stattgegeben wurde. Er wurde 1968 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt.

 

Zur nächsten Seite!

 

Text frei nach Werner Milschewsky und Günther Diehl